Urbane Umwelten – Urbane Kulturlandschaften: Fachübergreifende Perspektiven zu Wegen und Umwegen zur Nachhaltigkeit

Urbane Umwelten – Urbane Kulturlandschaften: Fachübergreifende Perspektiven zu Wegen und Umwegen zur Nachhaltigkeit

Organisatoren
Forschungsschwerpunkt Stadtforschung an der Technischen Universität Darmstadt
Ort
Darmstadt
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.02.2008 - 16.02.2008
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Von
Martin Knoll, Neuere Geschichte, TU Darmstadt

Am 15. und 16. Februar traf sich ein interdisziplinär besetzter Kreis von Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf Einladung des Forschungsschwerpunktes Stadtforschung an der Technischen Universität Darmstadt. Dieser Forschungsschwerpunkt wurde 2005 auf Initiative der Stadt- und Raumsoziologin Martina Löw etabliert und vereinigt rund 20 WissenschaftlerInnen verschiedener Fachbereiche der TU Darmstadt, die aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven heraus Stadt als Forschungsgebiet bearbeiten. Interdisziplinarität wird im Forschungsschwerpunkt als Brückenschlag zwischen den wissenschaftlichen Großkulturen Sozial- und Geisteswissenschaften, Ingenieurwissenschaften und Naturwissenschaften verstanden und praktiziert. Leitender Ansatz ist dabei die Frage nach der „Eigenlogik“ in der Entwicklung von Städten. Dieser Konzeptbegriff bezieht sich auf die sozialen und diskursiven Praktiken von EinwohnerInnen und institutionellen EntscheidungsträgerInnen, die sich in zeitlicher, sachlicher und räumlicher Dimension institutionalisieren und so lokalspezifische Entwicklungspfade generieren.

Die Forschergruppe B „Urbane Umwelten – Wege und Umwege zur Nachhaltigkeit“ innerhalb des Forschungsschwerpunktes zielte mit der Veranstaltung des Workshops darauf ab, im Austausch mit externen Gesprächspartnern urbane Entwicklungen, die Heterogenität und Homogenität von Städten, die Wirkungen von Materialität und Immaterialität auf Stadtentwicklungen und die daraus resultierenden Risiken, Chancen und Möglichkeiten zur Verbesserung der Nachhaltigkeit urbaner Räume zu erörtern. Dabei war es ein zentrales Anliegen, den Darmstädter Ansatz zur Diskussion zu stellen und methodologische Anregungen von außen zu erhalten.

In seinem Impulsreferat führte DIETER SCHOTT (Geschichte, TU Darmstadt, und zweiter Sprecher des Forschungsschwerpunktes) sowohl in die konzeptionelle Basis als auch in die Arbeit der Teilprojekte der Darmstädter Stadtforschung ein. Hinsichtlich des „Eigenlogik“-Konzepts betonte er, dass sich diese Fragerichtung explizit gegen die landläufige Thematisierung von Stadt in den Sozialwissenschaften wende, die Städte als Orte begreife, wo gesamtgesellschaftliche Phänomene wie soziale Ungleichheit, Inklusion oder Exklusion sich manifestieren, die aber als spezifische Orte selbst nicht zum Forschungsgegenstand würden. „Eigenlogik“ bezeichne dagegen gerade die lokal spezifische Art und Weise der Wahrnehmung von Problemen und die Chancen des Umgangs damit. Jenseits unbestreitbar wirkungsmächtiger homogenisierender Tendenzen ökonomischer Globalisierung und rechtlich-politischer Standardisierung und Normierung gebe es Elemente und Prozesse in Städten, die nicht aus der übergreifenden Systemlogik erklärt werden könnten. Zu den kontextgenerierten Potenzialen einer Stadt gehörten kulturelle Faktoren (Stadtgeschichte und –kultur) genauso wie die naturräumliche Ausstattung und die materiell-technische Infrastruktur. Städte seien demnach in ihrer historisch gewachsenen und materiell fundierten Eigenlogik zu analysieren, die sich ihrerseits nicht nur physisch niederschlage, sondern auch die Wahrnehmungsraster der Akteure präge und damit letztlich Zukunftsentwicklungen vorstrukturiere. Die Forschergruppe B arbeite mit der Methode des Städtevergleichs, wobei in einer Startphase zunächst u. a. Instrumente zu entwickeln seien, die eine Verknüpfung von Geo-Daten und soziokulturellen Daten erlauben (GIS). Die Analyse soll zunächst auf drei zentrale Themenfelder begrenzt werden: Böden/Flächenverbrauch, Energie/Klimaschutz, Wassernutzung/Ver- und Entsorgung.

Der Geologe VOLKER STEINBACH (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover) erörterte in seinem Vortrag „Geopotenziale und nachhaltige Nutzung urbaner Räume am Beispiel Südostasien“ drei übergeordnete Problem- bzw. Forschungsfelder seiner Institution im urbanen Kontext: Urbanisierung und Rohstoffverbrauch, Georisiken sowie Raum- und Regionalplanung. Basierend auf Erfahrungen aus verschiedenen Projekten, die im Rahmen der technischen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern explizite Anwendungsorientierung besaßen, kam Steinbach zu dem Schluss, dass es nicht genüge, allein die Ermittlung geologischer Determinanten der Entwicklung urbaner Räume zu voranzutreiben, sondern dass sozioökonomische Faktoren berücksichtigt, konkurrierende Nutzungsansprüche abgewogen, Naturgefahren analysiert und eine frühzeitige Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung, lokalen Planern, Wissenschaftlern und Entscheidungsträgern vor Ort (z. B. im ‚community-based disaster risk assessment’) angestrebt werden müssten. Abschließend reflektierte Steinbach selbstkritisch die Kompetenzen und Grenzen geowissenschaftlicher Forschung im Kontext einer auf nachhaltige Entwicklung ausgerichteten Zielsetzung. An diesem Punkt setzte auch die Diskussion an, in der u. a. die tatsächliche Einbindung geowissenschaftlicher Expertise in die stadtplanerische Entscheidungsfindung und die In-Wert-Setzung lokalen Erfahrungswissens problematisiert wurden.

VERENA WINIWARTER (Umweltgeschichte, Univ. Klagenfurt) referierte zum Thema „Umweltgeschichte im urbanen Raum. Chancen und Risiken interdisziplinärer Zugänge“. Winiwarter stellte mögliche Konzepte einer interdisziplinären Stadtforschung vor, problematisierte Kommunikation im Forschungsprozess, erörterte unterschiedliche Erkenntnisinteressen und beleuchtete zuletzt die Rolle der Umweltgeschichte im interdisziplinären Kontext. Auf konzeptioneller Ebene betonte Winiwarter die Wichtigkeit geeigneter begrifflich-theoretischer Vorentscheidungen für das Gelingen wissenschaftlicher Interdisziplinarität. Als Konzept, das in der Kommunikation zwischen Natur- und Geisteswissenschaftlern für beide Seiten gleichermaßen anschlussfähig sei, empfahl Winiwarter das von der Wiener Schule der sozialen Ökologie entwickelte Modell des sozio-naturalen Zusammenhangs. Dieses argumentiert systemtheoretisch und siedelt den Menschen, aber auch die von ihm gestaltete Welt (bauliche Infrastruktur, Nutztiere etc.) in einem Überschneidungsbereich zwischen Natur und Kultur an. Winiwarter modifizierte dieses Konzept in Anlehnung an Theodor Schatzkis „soziale Schauplätze“ dahingehend, dass sie die autopoietische Transformation von sozio-naturalen Schauplätzen als Grundprinzip der Geschichte darstellte. Deren Verlauf könne durch die erkenntnisleitende Differenz zwischen Praktiken und Arrangements untersuchbar gemacht werden. In der Diskussion stieß die Vagheit der im vorgestellten Modell verwendeten Begriffe von Natur und Kultur auf Kritik. Die Referentin bestätigte diese Problematik im Kern, verwies aber darauf, dass der „Umwelt“-Begriff ebenso diffus und überdies anthropozentrisch sei. Weitere Diskussionsbeiträge befassten sich mit den Kategorien Zeit, Pfadabhängigkeit, Materialität, Resilienz und Nachhaltigkeit. Auch die Frage nach der Kommunizierbarkeit konzeptioneller Entscheidungen in Projektanträgen und das praktische Funktionieren von Interdisziplinarität wurden erörtert. Bezogen auf Letzteres propagierte Winiwarter die Stärkung von Gruppenprozessen und deren genaue Dokumentation, Moderationsverfahren und die Schaffung geeigneter Settings.

FRITZ REUSSWIG (Sozialwissenschaft, Potsdamer Institut für Klimaforschung) plädierte im Zusammenhang von Klimawandel und Städten für „eine neue Kultur sozio-technischer Experimente im urbanen Raum“. Nachdem der Klimadiskurs ein Stadium erreicht habe, in dem nicht mehr diskutiert werde, ob der Mensch das Klima beeinflusse, sondern wie mit den Konsequenzen des industrialisierungsbedingten Hybridklimas umzugehen sei, komme in der Klimaforschung den Wirtschaftswissenschaften eine im Vergleich zu Natur- und Geowissenschaften steigende Bedeutung zu. Deutlich unterentwickelt zeige sich dabei freilich bislang die Risikoanalyse von Lösungsstrategien. Eine mögliche Antwort auf die zahlreichen Unsicherheiten in der mittel- und langfristigen Risikoabschätzung bestehe im Portfolioansatz, einer Kombination verschiedener Strategien, und deren Erprobung in „soziotechnischen Experimenten“. Städte als bislang unterbelichtete Player der Klimadiskussion eigneten sich in besonderem Maße als Raum für solche Experimente, z. B. der Einführung eines CO2-Emissionshandels auf privater Ebene. Fragen und Beiträge zur anschließenden Diskussion thematisierten u. a. die Stellung der Sozialwissenschaften in der wissenschaftlichen Wahrnehmungshierarchie, eine drohende Tendenz zu Ökodiktatur bzw. Ökocalvinismus, und eine mangelnde Transzendierung der liberalen Marktwirtschaft in dem von Reusswig vertretenen Gesamtmodell.

Die Lichtdesignerin ULRIKE BRANDI (Lichtplanung und Leuchtenentwicklung GmbH, Hamburg) beschäftigte sich mit „Licht als Gestaltungsmittel zur Stadtverschönerung und Stadtplanung“. Brandi stellte Lichtplanung in Städten als Modethema mit teils problematischen Erwartungen vor. Tageslicht spiele eine entscheidende Rolle für die Erkennbarkeit einer Stadt. So seien geografisch unterschiedliche Tageslichtabläufe (Sonnenstände, Dämmerungsphasen etc.) konstitutiv für das Kunstlichtempfinden der Menschen. Farbwiedergabe und Qualität von Kunstlicht hingen nicht nur von den Spektralanteilen im Weißlicht, sondern auch von geschichtlich gewachsenen Baustrukturen und –materialien (z. B. Backstein) und des Wasseranteils des zu beleuchtenden Raumes ab. Brandi kritisierte das inflationäre Spiel mit Farblicht in der Gebäudebeleuchtung und argumentierte, dass mehr Licht oft für weniger Sehen verantwortlich sei. Brandi wandte sich gegen die in der Planungspraxis vorherrschende Unterscheidung zwischen „funktionalem“ und „dekorativem“ Licht und wies darauf hin, dass Lichtqualität und Energieeffizienz keinen Widerspruch darstellten. In der anschließenden Diskussion wurde betont, wie sehr Licht hier als Teil der Materialität des Städtischen urbane Eigenlogiken unterstreiche.

WOLFGANG MERKEL (Bauingenieurwesen, TU Darmstadt) referierte zum Thema „’Daseinsvorsorge’ oder ‚Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse’: Die kommunale Selbstverwaltung, die Rolle der Stadtwerke, die Diskussion über Liberalisierung und Privatisierung“. Der Referent spannte einen weiten historischen Bogen von der Funktionalität mesopotamischer Städte über die staatsrechtliche Begründung der Selbstverwaltung in der antiken Polis bis zu den Privatisierungen von Energie- und Wasserversorgungsnetzen der Gegenwart. In seiner vor allem auf die Analyse normativer Quellen gestützten Darstellung problematisierte er die De- und Reregulierung kommunaler Versorgungsnetze sowohl auf einer prinzipiellen als auch auf einer qualitativen Ebene. Wichtigste aktuelle Herausforderung sei die von der EU vorangetriebene Forderung nach einer Marktöffnung auch im Wassersektor, was der spezifischen historisch gewachsenen Struktur der Daseinsvorsorge in Deutschland zuwider laufe und den hohen Qualitätsstandard deutscher Wasserversorgung gefährde. Gerade in Hinsicht auf die Wasserversorgung hätten Strukturentscheidungen zuvorderst den hohen sozialen Wert der Ressource in den Blick zu nehmen.

THOMAS KUHN (Wirtschaftswissenschaften, TU Chemnitz) versuchte mit seinem Beitrag „Stadt – Ökonomie – Nachhaltigkeit. Perspektiven und Fragestellungen“ einen Überblick über Erkenntnisse und Entwicklungen der Umwelt- und Ressourcenökonomie mit besonderem Fokus auf regionalen und kommunalen Aspekten zu geben. Er stellte dabei konzeptuelle Angebote der neoklassischen Wirtschaftstheorie zur Diskussion. Umwelt wird hier als (Markt-)Externalität, Umweltverschmutzung als negative Externalität aufgefasst und kann unterschiedlich modelliert werden. Im Verhalten kompetitiv agierender Kommunen gilt als Kriterium der wohlfahrtsoptimalen Verschmutzung die Gleichung „Grenznutzen der Umweltverschmutzung = Grenzschaden der Umweltverschmutzung“. Verschmutzung kann innerhalb der Kommune bzw. über ihre Grenzen hinweg zum Gegenstand unterschiedlicher Politiken werden. Sog. Ökodumping (z. B. zu niedrige Energie- oder Müllgebühren) kann eine Rolle im Standortwettbewerb spielen. Nicht handelbare Externalitäten müssen am Ort ihres Entstehens vermieden, handelbare Externalitäten können dagegen exportiert werden (z. B. Mülltourismus) und unterliegen einer marktabhängigen Preisbildung. Kuhn kennzeichnete abschließend als Desiderat der umweltökonomischen Theorie die stärkere Berücksichtigung ökologischer Ansätze, die durch eine Aufspaltung der Theorie in Ressourcenökonomik und Umweltökonomik bislang verhindert werde. Als Beispiel nannte er den Recycling-Ansatz, der eine simultane Modellierung von Quellen und Senken, Ressourcenextraktion und Abfällen und die Verfolgung von Material- und Energieflüssen unter Beachtung der Materialbilanz beim Recycling von Abfallprodukten zur Wiederverwendung als Sekundärrohstoffe erfordere. Die Diskussion lotete an verschiedenen Beispielen die Grenzen der neoklassischen Wirtschaftstheorie bei der Abbildung von Umweltschädlichkeit aus. So könne ein durch Ökodumping (z. B. niedrige Gewerbesteuer) verursachter hoher Bodenverbrauch in der kommunalen Wirtschaftsentwicklung zum Paradox hoher finanzieller Reserven für umweltpolitische Maßnahmen führen. Fragen der Environmental Justice (Partizipation an Ressourcen und Betroffenheit von Umweltschäden in Abhängigkeit von sozialem, ethnischem politischem etc. Status) seien, so ein Einwurf, nicht adäquat abbildbar. Auch die Einpreisung von Umweltschädlichkeit wurde als normative Setzung problematisiert.

EGON BECKER (Institut für sozial-ökologische Forschung, Frankfurt) sprach über „Urbane Regulationen gesellschaftlicher Naturverhältnisse“. Er stellte die soziale Ökologie als Teil der transdisziplinären Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung vor, die sich als Wissenschaft von den gesellschaftlichen Naturverhältnissen verstehe. Sie bediene sich der theoretischen Perspektive einer Dynamik zwischen stofflichen und symbolischen Prozessen und verfolge diverse Projekte mit Stadtbezug, wobei sie den Anspruch erhebe, Problemlagen zu identifizieren und praktische Lösungsansätze aufzuzeigen. Becker definierte Stadt als komplexes adaptives Sozialökosystem, in dem Versorgung und Entsorgung das gesellschaftliche Netzwerk urbaner Räume regelt. Die Nachhaltigkeit der Ver- und Entsorgungssysteme sei mithin eine notwendige Determinante nachhaltiger Stadtentwicklung. Becker verstand Ver- und Entsorgungssysteme als urbane Regulationsmechanismen des gesellschaftlichen Naturverhältnisses und leitete daraus die Forderung ab, den Menschen als Nutzer dieser Systeme stets in die Analyse mit einzubeziehen. Hinsichtlich der Stadt als sozialökologischem Objekt bemerkte Becker zweierlei: Forschungsgeschichtlich stellte er fest, dass mit der zunehmenden Verdrängung der Chicagoer Schule in den Sozialwissenschaften lange Zeit ein integrativer Ansatz gefehlt habe. Inhaltlich vertrat Becker die These, dass urbane Naturverhältnisse immer räumlich strukturiert seien. Daher bezögen sich Forschungen auf Prozesse und Praktiken, die sozialökologische Konstitution leisten. Als Desiderat bezeichnete Becker ein sozialökologisches Raumkonzept. Neben dieser Fehlstelle wurden in der Diskussion auch die kommunikativen Potenziale des Frankfurter Ansatzes problematisiert. In diesem Zusammenhang spielte auch die für die Darmstädter Forschergruppe interessante Problematik der Rezeptionsfreundlichkeit konzeptueller Äußerungen in Förderanträgen eine herausgehobene Rolle. Becker kritisierte an der Sprache der Darmstädter Papiere die doppelte Bedeutung des Umwelt(en)-Begriffs. Michael HARD (Technikgeschichte, TU Darmstadt) rechtfertigte diese semantische Ambivalenz als intendiertes Anknüpfen an der Doppeldeutigkeit des englischen ‚environment’-Begriffs.

JÖRG DETTMAR (Fachbereich Architektur, TU Darmstadt) widmete sich den „Urbane[n] Kulturlandschaften“ und zeigte „Ansätze in einigen deutschen Metropolregionen“ auf. Der erst junge Begriff der „Metropolregion“ spiele, so Dettmar, eine zunehmend wichtige Rolle in der Raumordnung und sei mittlerweile sowohl in deutschem als auch im EU-Recht verankert. Die Probleme begännen allerdings bereits mit der Perspektivengebundenheit seiner Definition. Der raumplanerische Paradigmenwechsel vollziehe sich derzeit – von der weiteren Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – weg vom traditionellen Konzept der europäischen Stadt, die sich historisch durch eine scharfe Stadt-Umland-Abgrenzung (Mauer!) genauso ausgezeichnet habe wie durch die Dichte ihrer Austauschbeziehungen. Die nunmehr rechtlich verankerte Ausweisung von elf deutschen Metropolregionen arbeite mit einer sehr weit gefassten Definition und integriere äußerst heterogene Regionen (solche urbaner Verdichtung wie im Rhein-Main-Gebiet, aber auch stark ländlich geprägte Gebiete, wie die Zusammenfassung von Berlin und ganz Brandenburg zu einer Metropolregion zeige. Die – freilich nicht immer erfolgreiche – Ausweisung von Landschafts- und Regionalparks zeige, dass auch die Arbeit mit offenen Landschaftsbestandteilen und Kulturlandschaftsresten zur planerischen Profilierung von Metropolregionen gehöre. In der Realität könnten dagegen suburbane Räume ohne erkennbare lokale Besonderheiten als Ausdruck planerischer Ratlosigkeit studiert werden (Zwischenstadtdiskussion). Dettmar problematisierte auch den Kulturlandschaftsbegriff, der sich über funktionale Kritierien definiere, aber gleichwohl ein positiv belegter Wertbegriff sei. In der Planungspraxis wandelten sich Kulturlandschaften definitorisch von der durch vorindustrielle Nutzungsformen geprägten Landschaft hin zu urbanen Landschaften, die durch die Regionalplanung nachhaltig gestaltet werden sollten (z. B. die Umdefinition von Industriebrachen zu „Industriekultur“ oder ihre Transformation zu „Industrienatur“ im Ruhrgebiet). Für die Zukunft prognostizierte Dettmar urbanisierte postindustrielle Regionen, die sich konstant, aber nicht sinnhaft oder zielgerichtet veränderten. Sie seien durch ein Patchwork von Flächen und Wahrnehmungen, durch den steten Wechsel von sekundärem und tertiärem Sektor charakterisiert und den Bedürfnissen einer beschleunigten, individualisierten Gesellschaft angepasst. Die übergeordnete Kategorie der Kulturlandschaft gehe verloren, weil sie immer weniger Bezug zur realen Lebenswelt besitze. Landschaft verkomme - dem Paradigmenwechsel von der Erfahrung zum Erlebnis entsprechend - zur Kulisse. In der Diskussion wurde Dettmars pessimistische Sicht nicht bruchlos geteilt. Kulturelle Industriefolgenutzungen wurden als Zeugnisse gelungener Transformation gewertet. Auch der „Stadt“ wurde – zumindest als Sehnsuchtsraum – ungebrochene Attraktivität diagnostiziert. Hinsichtlich touristischer Vermarktung wurde die Tendenz diskutiert, mittels stereotyper Text- und Bildwelten dennoch das lokal je Spezifische zu verkaufen. Auch der städtische Strukturwandel im Zeichen des demografischen Wandels beschäftigte die Diskutanten. Skepsis ernteten die Begriffe Beschleunigung und Individualisierung, da solche Prozesse, so der Hinweis von Peter Noller, stets von Entschleunigung und Milieubildung begleitet würden.

Die Kurzvorträge von PETER NOLLER (Soziologie, TU Darmstadt) und ANDREAS HOPPE (Geologie, TU Darmstadt) leiteten das Schlussplenum ein. Noller nahm nochmals die konzeptionellen Grundlagen und die Arbeit des Darmstädter Forschungsschwerpunktes Stadtforschung auf und erläuterte die Aufgabenverteilung der einzelnen Forschergruppen im Projektzusammenhang. So arbeite Gruppe A an der theoretischen wie empirischen Füllung der gemeinsamen Grundidee (Eigenlogik-Konzept), während die Perspektive der Gruppe B stärker von Aspekten der Materialität geleitet werde. Für Gruppe C stehe Wissen im Zentrum des Interesses. Auch die Pläne für einen Ausbau des Forschungsschwerpunktes und der derzeitige Stand diesbezüglicher Projekt-Antragsverfahren wurden erläutert. Andreas Hoppe fasste noch einmal kurz die Vorträge und die wichtigsten Diskussionspunkte der beiden Workshop-Tage zusammen.

In der abschließenden Diskussion gaben die auswärtigen Referenten das erwünschte Feedback zum Darmstädter Projekt. Egon Becker gab zu Protokoll, dass der zentrale Problembegriff der Eigenlogik letztlich nicht in die Sprache der Frankfurter sozialen Ökologie übertragbar sei. Fritz Reusswich mahnte einen konstruktiven Umgang mit der Spannung zwischen Vorüberzeugung und Offenheit im Forschungsprozess an. Die angewandte Vergleichsmethode müsse operationalisiert werden (top down/theoriegeleitet oder bottom up/theoriefrei). Stakeholder der untersuchten Städte müssten einbezogen werden. Andreas Hoppe bestätigte, dass hierzu bereits erste Kontakte aufgebaut worden seien. Verena Winiwarter wünschte sich einen deutlicheren Zusschnitt des Erkenntnisinteresses. Dieses solle im interdisziplinären Prozess noch vor den zu verwendenden Begriffen diskutiert werden. Auch mahnte sie eine Spezifizierung in der Typisierung an. Prozesstypen seien interessanter als Zustandstypen, das DPSIR-Modell der OECD hierzu ein mögliches Werkzeug. Dieses sieht gesellschaftliche Prozesse als ‚Drivers’, durch die Druck (‚Pressure’) auf Ökosysteme ausgeübt wird, was sich im Status (‚State’) der Systeme spiegelt und naturale Prozesse beeinflusst (‚Impact’). Auf Letztere reagiert wiederum die Gesellschaft (‚Response’). Allgemein kam Winiwarter auf die Schwierigkeiten im interdisziplinären Zusammenwirken zu sprechen und qualifizierte es u. a. als wichtig, sich – wie auf diesem Workshop geschehen – stets ein ‚Außen’ zu organisieren. Thomas Kuhn lobte die Eignung des Eigenlogik-Begriffs zur Kennzeichnung von Prozessen der Selbstorganisation, aber auch komplexer Determinismen. Er attestierte dem Begriff ferner gute Anschlussfähigkeit in der interdisziplinären Forschung. Volker Steinbach wünschte sich die Einbeziehung der von Städten gebotenen Beschäftigungsmöglichkeit in die Forschungstätigkeit.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer trennten sich im Konsens darüber, dass der Darmstädter Forschungsschwerpunkt Stadtforschung bei aller Kritik im Detail einem überzeugenden Konzept folge und aussichtsreiche Projektpläne vorgelegt habe. Die Veranstalter dankten vor allem für die Anregungen, die die externen Referentinnen und Referenten in den Darmstädter Diskussionsprozess eingebracht hätten und die nun wertvolle Anknüpfungspunkte für die weiteren internen Diskussionen bildeten.

Konferenzübersicht:

Dieter Schott (Institut für Geschichte, TU Darmstadt): Urbane Umwelten. Perspektiven interdisziplinärer Forschung zu Eigenlogik und Materialität der Stadt im Forschungsschwerpunkt ‚Stadtforschung’

Volker Steinbach (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover): Geopotenziale und nachhaltige Entwicklung urbaner Räume am Beispiel Südost-Asien

Verena Winiwarter (Umweltgeschichte, Universität Klagenfurt): Umweltgeschichte im urbanen Raum. Chancen und Risiken interdisziplinärer Zugänge

Fritz Reusswig (Sozialwissenschaft/ Potsdamer Institut für Klimaforschung): Klimawandel und Städte - Für eine neue Kultur sozio-technischer Experimente im urbanen Raum

Ulrike Brandi (Lichtplanung und Leuchtenentwicklung GmbH, Hamburg): Licht als Gestaltungsmittel zur Stadtverschönerung und –planung

Wolfgang Merkel (Bauingenieurwesen, TU Darmstadt): “Daseinsvorsorge“ oder „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“: die kommunale Selbstverwaltung, die Rolle der Stadtwerke, die Diskussion über Liberalisierung und Privatisierung

Thomas Kuhn (Finanzwissenschaft, Technische Universität Chemnitz): Stadt – Ökonomie – Nachhaltigkeit. Perspektiven und Fragestellungen

Egon Becker (Institut für sozial-ökologische Forschung, Frankfurt a.M.): Urbane Regulationen gesellschaftlicher Naturverhältnisse

Jörg Dettmar (Fachbereich Architektur, TU Darmstadt): Urbane Kulturlandschaften. Ansätze in einigen deutschen Metropolregionen

Abschlussdiskussion, eröffnet durch Kurzstatements - Materialität der Stadt und Eigenlogik (Peter Noller, Soziologie, TU Darmstadt; Andreas Hoppe, Geologie, TU Darmstadt)


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